Interview mit Patrick Daude, Landeshauptstadt Stuttgart, Referat Strategische Planung und Nachhaltige Mobilität
Welche Maßnahme zum Betrieblichen Mobilitätsmanagement werden Sie uns denn vorstellen?
Eine einzelne Maßnahme wird nur in den seltensten Fällen die Lösung sein, vielmehr geht es um einen klugen Mix von Maßnahmen, die zur jeweiligen Situation der Unternehmen passen und auch von den entscheidenden Interessensgruppen (Geschäftsführung, Arbeitnehmervertreter) aktiv unterstützt bzw. umgesetzt werden. Die Verknüpfung der verschiedenen Mobilitäts- und Verkehrsträger spielt dabei eine zentrale Rolle. Unsere Erfahrungen im CIVITAS-Projekt „2MOVE2“ der EU machten deutlich, dass ein gut durchdachtes Bündel von Maßnahmen (wie beispielsweise Mitfahrportale, optimierte Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, Zuschüsse für die ÖPNV Nutzung, Shuttle-Angebote) von den Mitarbeitern in Anspruch genommen werden und wirken.
Als Beispiel für eine erfolgreiche Maßnahme sei das von Firmen bezuschusste Firmenticket für den ÖPNV zu nennen. Dafür wirbt die Landeshauptstadt Stuttgart sehr aktiv, in Zusammenarbeit mit VVS, SSB, der Region Stuttgart und anderen verkehrsrelevanten Akteuren.
Laut VVS bezuschussen aktuelle 620 Unternehmen das Firmenticket ihrer Mitarbeiter. Seit Jahresbeginn ist die Ticketzahl von 72. 300 auf 74 .900 gestiegen, in 2016 waren es 69 .000.
Ein anderer, mittlerweile in zahlreichen Unternehmen genutzter Anreiz für den Umstieg vom Pkw zu einem anderen Verkehrsmittel ist das Radleasing über Gehaltsumwandlung. Hier ist der Arbeitgeber der Leasingnehmer und zahlt die monatlichen Raten. Dann überlässt er das Fahrzeug seinem Mitarbeiter, der im Gegenzug auf einen Teil seines Bruttogehalts in Höhe der monatlichen Rate verzichtet.
Wie war die Ausgangslage, bzw. welcher Art war die Herausforderung, die Sie zur Entscheidung für diese Mobilitätsmaßnahme geführt hat?
Wie Sie selbst aus der Presse wissen, leidet Stuttgart unter dem hohen Anteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV). Unser Ballungsraum umfasst gut 2,7 Millionen Menschen und wir verzeichnen in der Region über 1 Million Fahrten mit dem Nahverkehr pro Tag. Gut 890.000 Fahrzeuge überqueren täglich die Stadtgrenze. Sie sehen also, da ist viel Bewegung auf den Straßen und Schienen unterwegs.
Die MIV-Flut können wir nicht alleine mindern, sondern wir sehen die Notwendigkeit noch enger mit Unternehmen und Behörden zusammenzuarbeiten und sie zu motivieren, selbst aktiv zu werden, mit eigenen Angeboten für Mitarbeiter und Kunden. Letztendlich können die Unternehmen durch gute BMM-Maßnahmen nicht nur etwas für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter tun, sondern auch Geld sparen und ihr Image verbessern, was auch ein Anreiz für sie ist.
Welche Partner haben Sie zur Lösung eingebunden?
Wir haben uns eng mit dem Amt für Umweltschutz, in der das Team der Mobilitätsberatung ist, abgestimmt und mit weiteren Fachämtern zusammengearbeitet (u.a. das Statistische Amt für die Umfragen an ausgewählten Unternehmensstandorten, das Amt für öffentliche Ordnung und das Tiefbauamt). Darüber hinaus waren auch die Stuttgarter Straßenbahn AG (SSB) und der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) involviert. Die konstruktive Unterstützung seitens der Ämter und der weiteren Partner zeigte uns, wie wichtig auch ihnen das Thema ist.
Wie sind Sie im Einzelnen vorgegangen?
Um Referenzunternehmen zu gewinnen, luden wir eine Auswahl von Pilotunterunternehmen aus dem Kreis der Arbeitgeberkonferenz, die regelmäßig im Stuttgarter Rathaus tagt, ein. Diese waren schnell mit im Boot.
Der nächste Schritt war die Abstimmung zwischen der Stadt und den Unternehmen über Ziele und die Methodik. Unser oberstes Ziel war es, den Unternehmen den Einstieg in das BMM zu erleichtern, denn sie sollten ja die Maßnahmen bei sich umsetzen. Die Stadt selbst hat die Maßnahmen nicht durchgeführt, aber aktiv dabei geholfen, die notwendigen Partner an Bord zu holen und bei der Umsetzung beratend zur Seite zu stehen.
Auch die Stadtverwaltung geht mit gutem Beispiel voran und fördert den Umstieg beispielsweise durch JobTickets, Dienstfahrräder und die Umstellung des städtischen Fuhrparks auf emissionsfreie Fahrzeuge.
Der erste Schritt bei den Unternehmen war die Durchführung einer Umfrage bei den Mitarbeitern mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens, der die Ist-Situation erfasste. Auf dieser Basis wurden die Ergebnisse in weiteren Treffen zwischen Stadt und den Firmen besprochen und Handlungsfelder priorisiert. Im Anschluss haben die Unternehmen entschieden, welche Maßnahmen sie umsetzen.
Was war die Lösung und was war der Nutzen für Sie und die Kommune bzw. die beteiligten Unternehmen?
Das interessante am BMM ist, dass jedes Unternehmen die Lösungen individuell etwas anders umsetzt, je nach Situation und den Bedürfnissen der Belegschaft. Darum können wir nicht nur von einer Lösung sprechen.
Wichtig war für das Gelingen, dass die Unternehmen Ressourcen mobilisiert und attraktive Anreize für den Umstieg auf den ÖPNV geschaffen haben (bezuschusstes Jobticket, Infopanels mit ÖPNV Abfahrtszeiten in Echtzeit, Takterweiterung auf einer Buslinie in den Abendstunden). Wer hier halbherzig und zu sparsam vorgeht, wird nicht die gewünschten Erfolge erzielen. Das Radleasing über Gehaltsumwandlung wurde gut angenommen. Auch andere Maßnahmen haben gut gewirkt, die konkreten Zahlen liegen aber bei den Unternehmen.
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Im Marienhospital war die Parkraumnot aufgrund der eng bebauten Lage sehr angespannt. Die ersten spürbaren Verbesserungen stellten sich schnell ein dank u.a. des zusätzlichen Takts auf der Buslinie 41 und dadurch wiederum durch eine sehr gute Annahme des bezuschussten Jobtickets. Das Krankenhaus hatte dort in kurzer Zeit 50% Zuwachs an JobTickets! Gut angenommen wurde die neu eröffnete Fahrradabstellanlage auf dem Krankenhausareal, wo auch Pedelecs geladen werden können. Gelöst ist die Parkplatzsituation allerdings noch nicht.
BMM ist ein lang angelegter Prozess, der in allen Unternehmen (wie auch die Gesundheitsförderung) fest verankert sein sollte, denn die Maßnahmen brauchen genügend Zeit, um sie planen, realisieren und evaluieren zu können. Maßnahmen müssen manchmal korrigiert, Wechselwirkungen untersucht und vor allem mit der Belegschaft und der Geschäftsführung gesprochen werden, falls Maßnahmen nicht so erfolgreich waren.
Das Management muss voll und ganz hinter dem BMM Programm des Unternehmens stehen, denn BMM ist als Teil des „Total Quality Managements“ anzusehen.
Für uns als Kommune zeigt sich, dass Betriebliches Mobilitätsmanagement ein wirkungsvolles Instrument ist, um nachhaltige Mobilität voranzutreiben. Es gibt erfreulicherweise immer mehr Unternehmen, die sich dafür interessieren und die Chancen erkennen. Denn sie können nicht nur etwas Gutes für ihre Mitarbeiter tun, sondern auch noch Geld und Ressourcen sparen (z.B. effizienterer Fuhrpark, bessere Auslastung der Parkplätze, Reduzierung von Stellflächen).
Können Sie über die finanziellen Auswirkungen berichten? Haben die Maßnahmen Einsparungen erzielen können?
Hier können nur die Unternehmen selbst berichten, da liegen uns keine Zahlen vor.
Welche Auswirkungen für Umwelt und Luft konnten Sie erzielen?
Das ist schwer zu beantworten, denn dafür würde man eine sehr umfangreiche Vor- und Nachuntersuchung durchführen müssen, und bei einigen Maßnahmen ist es schwierig, den Effekt zu quantifizieren. Aber Tatsache ist, dass die in den Unternehmen eingeführten Jobtickets und Leasingverträge zweifelsohne einen Beitrag für bessere Luft und weniger Autoverkehr leisten.
Werden die Maßnahmen weitergeführt?
Ja!
Das BMM als Beratungsleistung soll im nächsten Doppelhaushalt der LHS mit einer zusätzlichen Stelle fest verankert und das Angebot für interessierte Unternehmen erweitert werden. Die Beratungen und der Austausch mit Unternehmen kommen gut voran. Die Stadt vernetzt, informiert über Fördermöglichkeiten (wie z.B. das Förderprogramm „mobil gewinnt“), vernetzt die Firmen untereinander und vermittelt Anfragen zu den Verkehrsbetrieben (SSB), VVS und den städtischen Fachämtern.
Welche Maßnahme zum Betrieblichen Mobilitätsmanagement werden Sie uns denn vorstellen? Welche Maßnahme zum Betrieblichen Mobilitätsmanagement werden Sie uns denn vorstellen?
Würden Sie die Maßnahme in gleicher Weise wieder angehen und umsetzen oder haben Sie einen Tipp an andere Kommunen/Unternehmen, was sie anders tun könnten?
BMM ist kein Selbststarter. Es muss anfänglich viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, und die Unternehmen, die einmal damit begonnen haben, erkennen die Potenziale und bauen es kontinuierlich aus. Es ist wichtig, BMM als langfristig angelegte Aufgabe einer Kommune zu verstehen. Die nötigen Ressourcen müssen bereitgestellt werden, die richtigen Partner in einem Netzwerk gebündelt und vor allem viel Zeit in die Kommunikation mit den Firmen und die Gespräche vor Ort investiert werden.
Herzlichen Dank, Herr Daude, für das Gespräch!
Patrick Daude, M.A.
Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Strategische Planung und Nachhaltige Mobilität
Rathaus, Marktplatz 1,
70173 Stuttgart